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Die digitale Welt erfordert Beweglichkeit, eine neue Generation fordert mehr Respekt. Medienunternehmen müssen viel mehr ändern als nur ihre Strategie.

 

In Medienhäusern wird über viele Veränderungen diskutiert, von neuen Geschäftsmodellen bis zur besten CMS-Technologie. Das sind wichtige Fragen, sind sie doch notwendig, um den Sprung in die digitale Welt zu schaffen. „Das alleine reicht aber nicht aus“, sagt Anita Zielina, die in New York in der Weiterbildung von Medienfachkräften und -manager:innen tätig ist. „Im Endeffekt brauchen wir eine kulturelle Transformation.“„Culture eats strategy for breakfast“, wie es der Management-Guru Peter Drucker formuliert hat. Die beste Strategie ist wenig wert, wenn sie nicht von der Unternehmenskultur unterstützt wird. Die kulturellen, „weichen“ Voraussetzungen einer neuen strategischen Ausrichtung – „genau das ist derzeit das Riesenthema in den Geschäftsführungen vieler Zeitungs- und Fachverlage“, bestätigt Markus Wiegand, Chefredakteur von Kress pro.

„Sie alle beschäftigt dieser Kulturwandel. Die anstehenden Veränderungen müssen schließlich zum großen Teil mit Leuten bewältigt werden, die schon lange in der Branche tätig sind. Wie schafft man es, die träge Masse in Schwung zu bringen?“ Die Zielsetzung: Die Organisationen sollen innovativer und beweglicher werden, schneller neue Dinge ausprobieren, näher an den Kund:innen sein. „Das sind die Kernherausforderungen in den nächsten Jahren“, so Wiegand. „Agile Methoden wie zum Beispiel Scrum zielen genau auf diese Beweglichkeit ab. Doch in den meisten Häusern fehlen dafür sowohl die Strukturen als auch die Denke.“

„Der Glanz der Medienbranche ist weniger geworden.“

WER SCHEIT AM LAUTESTEN?

In vielen Medienunternehmen herrscht noch ein sehr klassisches, um nicht zu sagen altmodisches Verständnis von Führung und Hierarchie, meint Zielina: an der Spitze ein Chef, der die Befehle durchreicht. „Und oft ist derjenige ganz oben, der am lautesten schreit.“ Digital erfolgreiche Unternehmen würden ganz anders funktionieren. „Nicht völlig hierarchiefrei, aber mit mehr kollaborativen Einheiten“, so Zielina. „Führung wird eher als coachende Aufgabe verstanden. Und oft wird Führungsverantwortung unter mehreren Personen aufgeteilt, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Hier gibt es kein Einzelkämpfertum.“ Das Dilemma zumindest der deutschen Medienbranche: Das Geld wird immer noch zu einem großen Teil mit dem herkömmlichen, analogen Geschäft verdient. „Die meisten Leute kümmern sich um das alte Kerngeschäft, das nach wie vor gut funktioniert und daher weiter gepflegt werden muss“, bemerkt Wiegand. Gleichzeitig müssten sie aber neue Dinge in die Welt bringen. Die Produkte müssen digitaler werden, sie müssen dorthin, wo die Menschen sind. „Dafür fehlen oft die Ressourcen. Auf der anderen Seite gibt es auch Beispiele dafür, dass der Wandel zu schnell gemacht wurde. Das ist ein schwieriger Spagat“, so der Chefredakteur. Eine große Lebenslüge macht er in diesem Zusammenhang aus: „Den Leuten wird der Change oft als etwas total Großartiges verkauft. Das ist Unsinn. Veränderungen sind anstrengend – aber eben auch notwendig.“

 

Innovation ermöglichen, bestehende Teams auf die Reise mitnehmen, im operativen Alltag Freiräume für Neues schaffen – das ist schwierig genug. Doch es gibt noch eine weitere Herausforderung. „Was benötigen Medienunternehmen, um in 20 oder 30 Jahren noch da zu sein?“, fragt Zielina. „Mehr als alles andere: Talent.“ Also die richtigen Mitarbeiter:innen. Lange Zeit habe die Medienbranche so hell gestrahlt, dass sie sich um qualifizierte Bewerber:innen keine Gedanken machen musste. „Jetzt befinden sich Medienhäuser erstmals in der Situation, dass sie Stellen nicht besetzen können“, sagt Zielina. „Das ist ein Schock.“ Das gelte vor allem für Schnittstellenfunktionen, etwa für Jobs im Bereich Digitales, Produktentwicklung, Daten, Video oder Projektmanagement. „Der Glanz der Medienbranche ist weniger geworden“, meint auch Wiegand von Kress pro. „Früher war der Journalismus hip und cool. Heute wissen viele, dass er kein sehr zukunftsträchtiges Geschäft ist.“ Medienunternehmen müssen sich jedenfalls deutlich mehr anstrengen, um gute Leute zu finden. Und auch das ist eine Kulturfrage.

„Viele sagen: Ich arbeite nicht mehr in einem toxischen Umfeld.“

GEFORDERT: EINE KULTUR DES RESPEKTS

Was sollten sie ihren – bestehenden und potenziellen – Mitarbeiter:innen als Arbeitgeber bieten? Zunächst eine bessere Work-Life- Balance. „Wir sehen in allen Studien vor allem einen Grund, warum die Menschen Unternehmen verlassen“, sagt Zielina. „Sie wollen mehr Leben vom Leben. Sie kriegen das nicht mehr hin mit dem Stress, mit den langen Arbeitszeiten.“ Ein zweiter wichtiger Punkt: Diversität. Oder anders formuliert: Respekt. Das Thema ist laut der Wahl-New-Yorkerin Zielina mit der Me-too-Bewegung, aber vor allem seit dem Mord an George Floyd im Mai 2020 massiv in den Vordergrund gerückt. „Gerade junge Frauen und junge Menschen mit Migrationshintergrund sagen: Das tu ich mir nicht mehr an. Ich arbeite nicht mehr in einem toxischen Umfeld, das mich nicht wertschätzt, wo ich weiß, dass ich keine Chance habe aufzusteigen.“ Ist das nicht eher ein amerikanisches Phänomen? Gar nicht, meint Zielina: „Ich spreche ständig mit jungen Kolleg:innen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Frankreich ... Für Menschen zwischen 25 und 35 ist das auch in Europa ein absolut essenzielles Kriterium, wen sie sich als Arbeitgeber aussuchen.“ Bei den europäischen Medienunternehmen hingegen sei das Thema noch nicht so stark angekommen. „Hier ist ein Gap entstanden.“