Hauptinhalt

Vom Publikum zur Community zu zahlenden „Mitgliedern“ – Krautreporter-Gründer Sebastian Esser erklärt, wie Medien zu stabilen Einnahmen gelangen.
Sebastian Esser hat 2014 das – via Crowdfunding finanzierte – Onlinemagazin Krautreporter gegründet sowie 2017 die Membership Plattform Steady. Derzeit arbeitet er an neuen Projekten. Auf welchen Zukunftstrend er diesmal setzt? „Das Thema Community wird immer entscheidender für die Vermarktung“, sagt er. „Nicht nur von Medien, sondern genauso von Turnschuhen oder Heizungsthermostaten.“ Aber eben auch von Medien. Wenn sie nachhaltig erfolgreich sein wollen, dann lautet der klare Ratschlag: Sie müssen aus ihrem passiven Publikum eine Community formen. Deren Mitglieder definieren sich als Teil einer Gruppe, interagieren mit ihr, fühlen sich persönlich involviert. Die emotionale Beziehung kann etwa auf politischen Werten beruhen, auf einem lokalen Bezug oder dem Interesse an einem speziellen Thema, wie einer bestimmten Musikrichtung. Auch große Medien wie die New York Times mit ihrer „Truth“-Kampagne oder die Washington Post mit dem Slogan „Democracy Dies in Darkness“ bieten nicht nur ein gutes Produkt, sondern auch eine solche Möglichkeit zur Identifikation.
Die Faustregel lautet: Etwa 10 Prozent des Publikums bzw. der Audience sind potenzielle Mitglieder dieser Community. Je größer diese ist, desto besser, denn: „Sobald jemand eine Marke mit etwas Positivem verbindet und mit ihr interagiert, zum Beispiel einen Artikel kommentiert oder eine Veranstaltung besucht, steigt die Wahrscheinlichkeit, für das Produkt zu zahlen, um das Zehnfache“, meint Esser.
Damit jemand aus der Community zu einem – zahlenden – „Mitglied“ wird, sind für den deutschen Journalisten und Unternehmer zwei Dinge notwendig: „Die Community zahlt nicht nur für ein Produkt, sondern auch für den Purpose, die Mission. Umgekehrt zahlt sie nicht nur aus Mitleid, denn dann stellt sich die Frage:
"Warum soll ich zahlen, wenn das sonst niemand tut?“
Gefragt sind daher zusätzliche Vorteile, eine Art von Paywall. Entweder steckt der Content hinter dieser Bezahlschranke oder andere exklusive Vorteile, die anderen nicht zugänglich sind, beispielsweise Veranstaltungen. Auch Medien wie der Guardian, die lange Zeit auf freiwillige Zahlungen gesetzt hatten, würden langsam in diese Richtung gehen und etwa in der App bestimmte Funktionen nur zahlenden Mitgliedern anbieten. Es braucht also immer eine Kombination, einen eher ideellen Wert ebenso wie handfeste Vorteile. „Medien wie der Guardian oder die New York Times nähern sich aus unterschiedlichen Richtungen an“, meint Esser. Und Tageszeitungen wie die deutsche taz, bei der alle Inhalte frei zugänglich sind? „Die unterperformen, weil sie nichts exklusiv anbieten. Die taz hätte ein deutlich höheres Umsatzpotenzial.“
BRAIN DRAIN DURCH CREATOR ECONOMY
Wer eine Community aufbauen will, sollte eines beachten: Menschen folgen Menschen. „Die Persönlichkeiten der Journalist:innen oder von wichtigen Autor:innen sind heute manchmal wichtiger als die Marke des Mediums“, sagt Esser. Die sogenannte „Creator Economy“ hat zuletzt einiges an Aufsehen erregt: Vor allem in den USA hatten bekannte Schreiber:innen ihre Arbeitgeber verlassen, um als Solo-Publisher auf Newsletter-Plattformen wie Substack ihr Glück zu versuchen.
Wie sollen Verlage auf diesen Brain Drain reagieren?
Indem sie es als Riesenchance verstehen, wenn sie gute Leute im Team haben, meint Esser: „Sie müssen die Mitarbeitenden wie einen großen Wert behandeln und ihnen gute Angebote machen – die nicht unbedingt mit Geld, sondern vor allem mit Freiheit zu tun haben.“
Mit der Freiheit, ihre eigenen Inhalte zu erstellen, viel mit der Community zu reden und sie zu treffen, und das alles, ohne nebenbei noch zusätzlich drei Seiten produzieren oder die Website pflegen zu müssen. Hier seien auch kulturelle Hürden zu überwinden: „In den Medien gibt es oft noch ein sehr autoritäres Gehabe, es geht viel um Hierarchien. Das steht der Kreativität im Weg“, sagt Esser. Und was ebenfalls ein Teil der Unternehmenskultur werden muss, wenn Medienhäuser Communitys schaffen wollen: den Kund:innen zuzuhören, mit ihnen darüber zu reden, was sie brauchen. „Oft landen Leserbriefe im Müll. Für viele ist relevanter, was die Kolleg:innen in der Redaktionskonferenz sagen.“
Hier geht's zum Download:

Foto: Martin Gommel
Sebastian Esser ist Vorstand der Krautreporter-Genossenschaft und Gesellschafter von Steady. Außerdem berät er Medienunternehmen sowie Content Creator und schreibt den Membership-Newsletter „Blaupause“.