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“Wir können unserem jungen Publikum durchaus etwas zutrauen”

Der Beruf, den Ambra Schuster heute ausübt, existierte in Österreich bis vor kurzem gar nicht. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Idan Hanin moderiert sie die „Zeit im Bild“ auf der Internet­-Plattform TikTok. Soziale Medien sieht Ambra Schuster als Chance, vor allem wenn es darum geht, junge Menschen zu informieren, sagt sie im Interview.

Interview: Kim Kopacka

 

Auf verschiedenen Plattformen im Internet kann mittlerweile jeder Mensch Nachrichten verbreiten, egal ob sie stimmen oder nicht. Das verunsichert viele und macht es auch schwieriger, junge Menschen mit seriösen Nachrichten zu erreichen. Wie erleben Sie als junge Journalistin die Veränderungen in der Medienwelt und die neuen Herausforderungen?

Eigentlich sehr positiv, weil zumindest die Erfahrung des letzten Jahres gezeigt hat, dass junge Menschen sehr wohl Interesse an Nachrichten haben und informiert werden wollen. Man muss die Informationen nur richtig aufbereiten und junge Menschen dort abholen, wo sie ohnehin schon sind. Das ist in unserem Fall TikTok.

Das heißt, Sie sehen die Vielfalt an Plattformen als Vorteil?

Auf jeden Fall. Erst kürzlich hat eine Schülerin bei einem Workshop zu mir gesagt: „Social Media ist das neue Fernsehen“, und das finde ich sehr treffend. Ich kann verstehen, wenn sich manche durch die vielen Plattformen und Themen überfordert fühlen. Doch ich sehe darin eine große Chance, weil man zu Gruppen durchdringt, die man mit linearem Fernsehen, Radio und über Zeitungen nicht mehr so gut erreicht. Durch das Bespielen sozialer Medien ist man viel breiter aufgestellt und hat sozusagen ein viertes Standbein dazugewonnen.

Seit einem Jahr ist die Nachrichtensendung „Zeit im Bild“ auf der Plattform TikTok aktiv. Damit soll vor allem jüngeres Publikum gewonnen werden. Wie ist Ihre Bilanz?

Extrem positiv. Wir waren selbst überrascht, wie sehr die Zahlen durch die Decke gegangen sind. 368.000 Menschen folgen uns auf TikTok, wir haben 11,6 Millionen Likes (Stand 23. November 2022), einige extrem erfolgreiche Videos und wir bekommen unglaublich viel positives Feedback. Auch von Lehrerinnen oder Lehrern, die auf uns zukommen und sagen: „Dank euch sind unsere Schülerinnen und Schüler viel besser informiert.“ Natürlich gibt es auch negative Kommentare, wie überall in sozialen Medien, doch die beziehen sich meist auf bestimmte Themen und nicht auf das Format an sich.

„Durch das direkte Feedback verlieren wir auch nie den Kontakt zu unseren Followern.“

Wie wurden Sie innerhalb des ORF auf Ihre neue Aufgabe vorbereitet?

Es gab kein Training im klassischen Sinn. Das meiste, also wie man Videos auf TikTok produziert, wie man textet oder Geschichten aufbereitet, haben wir uns gemeinsam mit unserem Teamleiter Patrick Swanson selbst erarbeitet nach dem Motto „Learning by Doing“. Dafür haben wir uns im Sommer zu dritt in einem Coworking-Space in der Mariahilfer Straße in Wien getroffen, haben uns einiges angeschaut, recherchiert und überlegt, welche Formate wir uns auf TikTok vorstellen können, was es bereits in diesem Bereich gibt und warum gewisse Dinge funktionieren.Danach sind wir in die Pilotierungsphase gegangen und haben uns angesehen, wie das Setting und das Studio aussehen sollen, haben vieles ausprobiert und auch vieles wieder verworfen. Man kann also durchaus sagen, dass die „ZiB“ auf TikTok unser Baby ist und sehr viel Herzblut darin steckt.

Wie müssen Nachrichten auf Social Media aufbereitet sein, um junge Menschen zu erreichen?

Wir erzählen auf TikTok zum Beispiel nicht, was die neue Pensionsreform bringt, sondern überlegen uns, welche Themen für unsere Zielgruppe relevant sind und was sie gerade beschäftigt, wie etwa Corona, schul- oder auch weltpolitische Themen. Beim Krieg in der Ukraine haben wir gerade am Anfang gemerkt, dass das Informationsbedürfnis sehr groß ist. Aber auch „News you can use“, also sogenannte Service-TikToks, funktionieren hervorragend.

Ganz wichtig ist uns der Tonfall. Wir wollen jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen und uns die Themen mit ihnen gemeinsam ansehen, ohne sie dabei zu belehren. Und man braucht auf TikTok eine klare Struktur. Da geht es oft um die ersten drei Sekunden, wir nennen das die „Catchphrase“. Das kann der Aufriss eines Themas sein, aber auch ein starkes Bild oder ein knackiger Satz, der das Publikum in die Thematik hineinzieht. Von dort hanteln wir uns weiter. Die Videos sollten weniger als eine Minute lang sein, das ist oft ziemlich tricky.

Woran wird der Erfolg des Formats gemessen?

An den Viewzahlen. Die ergeben sich aus den Interaktionen und den Klicks. Je mehr ein Video gelikt, angeschaut oder geteilt wird, desto eher wird es im Algorithmus weiter ausgespielt. Unsere Viewzahlen reichen vom zweistelligen Zehntausenderbereich bis zu sechs Millionen bei unserem populärsten Beitrag.

Was war das für ein Video?

Das war ein Originalton aus der ORF-Sendung „Im Zentrum“ von Marlene Engelhorn, einer Millionenerbin, die mehr Steuern für Reiche fordert. Der ist viral gegangen, was wir uns vorher nicht gedacht hätten, weil er relativ komplex und lang ist. Das zeigt, dass wir unserem jungen Publikum durchaus etwas zutrauen können.

Welche Vor- und Nachteile ergeben sich durch die Interaktion mit dem Publikum? Haben Likes, Shares oder Kommentare Einfluss auf die Themenauswahl?

Du bekommst dadurch jeden Tag eine Bilanz deiner Arbeit. Das ist manchmal hart, vor allem am Anfang. Mittlerweile können wir aber besser damit umgehen. Durch das direkte Feedback verlieren wir auch nie den Kontakt zu unseren Followern. Wir wissen dank der Kommentare, was sie interessiert, was sie beschäftigt, worauf es Antworten braucht. Und das ist für die Themenauswahl von Vorteil. Es ist aber auch so, dass wir oft Erklärformate produzieren, zum Beispiel zu den Novemberpogromen. Da können wir vorher nicht einschätzen, wie sehr das unser Publikum interessiert, aber wir erfüllen damit den Bildungsauftrag des ORF. Das heißt, das direkte Feedback wird bei der Themenauswahl zwar berücksichtigt, aber wir sind zum Glück nicht nur klickgetrieben.

Bleibt auf Social Media überhaupt genug Zeit für die Redaktion, Fakten genau zu überprüfen?

Es muss oft sehr schnell gehen, denn das Ziel ist, dass mein Kollege und ich je ein Video pro Tag produzieren und das innerhalb von acht Stunden. Dabei sind wir – in Absprache mit dem Social-Media-Team der „ZiB“ – für alles selbst verantwortlich, angefangen von der Themenauswahl über die Maske bis hin zu Ton, Licht, Kamera und Schnitt. Natürlich nehmen wir uns Zeit, um die Fakten zu prüfen. Tatsächlich sind wir aber froh, dass wir auch auf die Recherchen unserer Kolleginnen und Kollegen vom Fernsehen, etwa des Investigativ-Teams der „ZiB“, zurückgreifen können. Davon profitieren wir.

Muss man heute eigentlich noch Journalistin oder Journalist sein, um Qualitätsjournalismus zu machen?

Ich glaube, dass journalistisches Handwerkszeug weiterhin erforderlich ist, egal ob es sich um eine Plattform im Internet, Fernsehen, Print oder Radio handelt. Man muss richtig recherchieren, Inhalte zusammenfassen, herausfiltern, was für das Publikum relevant ist, und eine Geschichte erzählen. Daran hat sich auch durch das Internet nichts geändert.

AMBRA SCHUSTER präsentiert seit Oktober 2021 für die „Zeit im Bild“ des ORF die wichtigsten News des Tages auf der Kurzvideoplattform TikTok. Sie studierte am Journalismus-Institut der FH Wien. 2018 absolvierte sie ein Praktikum in der „ZiB“-Außenpolitik, danach arbeitete sie beim Radiosender FM4, der „Kleinen Zeitung” und zuletzt im Innenpolitikressort der ORF-Radioinformation. Bekannt wurde sie mit ihrem Podcast „Ambra fragt“: Dort führte sie Interviews zu aktuellen Themen und hat damit neue Wege im ORF-Digitalbereich beschritten.

Fotos: Franziska Liehl