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Das Geschäft mit unseren Daten

Sie kennen die intimsten Details unseres Lebens, wissen, wo wir uns aufhalten oder was in unseren Einkaufswagen landet. Nicht, weil wir offen darüber sprechen, sondern da wir all diese Informationen in unsere Smartphones oder Notebooks tippen.
Tech-Konzerne sammeln unsere Daten, um Geld zu verdienen. Die Wissenschaft will mithilfe von Big Data die Welt retten. Wie das funktionieren soll, erklärt der Ökonom, Physiker und Komplexitätsforscher Stefan Thurner im Interview.

Interview: Kim Kopacka

Wir hinterlassen im Internet ständig und überall Spuren, oft ohne es zu merken. Was erfahren Unternehmen dadurch über uns?

Das hängt vom Unternehmen ab. Bei Google weiß man unter anderem, aus welchen Regionen, von welchen Computern und von welchen Adressen die Suchanfragen gestellt werden, aber auch worüber wir nachdenken, was uns beschäftigt oder wie wir uns informieren. Firmen wie Amazon hingegen wissen, was wir kaufen, was gerade modern ist, was gut oder schlecht geht. Sie sehen anhand der Bewertungen, wie zufrieden oder unzufrieden wir mit den Produkten sind, was wie oft zurückgeschickt oder was gemeinsam mit anderen Artikeln gekauft wird. Aus all diesen Faktoren lässt sich bis zu einem gewissen Grad ableiten, wie ein Mensch tickt und unter welchen Umständen er welche Entscheidungen trifft, und das auf einer quantitativen Basis.

Bedeutet das, dass Firmen wie Google uns besser kennen als unsere Freundinnen und Freunde?

Ja, in einem gewissen Sinn kann man sagen, dass Algorithmen und Personenprofile Menschen genauer durchleuchten als viele Freundinnen und Freunde. Sie quantifizieren ein bisschen unsere Psyche.

Wozu brauchen Unternehmen unsere Daten?

Konzerne wie Amazon oder Google nutzen die Daten hauptsächlich für Werbung oder kommerzielle Interessen. Wenn man weiß, wie die Psyche eines Menschen funktioniert, kann man ein wenig vorhersagen, wie er auf bestimmte Stimuli reagieren wird, und unter welchen Umständen welche Produkte mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gekauft werden.

„Heutzutage ist es sehr schwierig, keine elektronischen Fingerabdrücke zu hinterlassen.“

Anhand der Werbung, die mir gezeigt wird, sehe ich also, was ich bereits über mich preisgegeben habe?

Das ist manchmal recht erstaunlich. Heutzutage ist es sehr schwierig, keine elektronischen Fingerabdrücke zu hinterlassen. Ich sage mir immer, dass es mir egal ist, wenn Firmen wissen, dass ich lieber grüne Schuhe als blaue kaufe. Doch wenn es darum geht, dass Wählerinnen und Wähler massiv beeinflusst werden, wie es zum Beispiel bei der vorletzten US-Wahl der Fall war, ist das ein Beispiel für katastrophalen Missbrauch. Da muss man einschreiten und Datenschutzrechte, die wir in Europa zum Glück haben, auch einklagen können. Man sollte nicht achtlos Dinge über sich und andere preisgeben, die früher oder später gegen einen selbst oder andere verwendet werden können.

Auf Websites wird man ständig aufgefordert, Cookies zu akzeptieren. Was hat es damit auf sich?

In Europa besteht eine Hinweispflicht für Cookies. Auch wenn es nervt, sieht man zumindest, wie viele Firmen die Verhaltensdaten von Userinnen und Usern haben möchten und daher fragen, ob sie gewisse Dinge mitschreiben dürfen. Zum Beispiel von welcher Website man hierhergeleitet wurde, was man als Nächstes anklickt oder wie lange man sich etwas ansieht. Aus solchen Daten lässt sich vieles über Menschen lernen.

Kann man beziffern, wie viel unsere Daten wert sind?

Personenprofile, die von großen Tech-Konzernen erstellt werden, sind Milliarden wert – in Europa ist das allerdings illegal. Denn diese Profile helfen dabei, Menschen davon zu überzeugen, Dinge zu kau-fen, die sie eigentlich nicht brauchen oder wollen. Viele Services von Konzernen wie Google sind gratis – scheinbar. Tatsächlich zahlen wir mit unseren Daten, die natürlich wertvoller sind als das, was wir dafür bekommen.

Das alles klingt etwas beunruhigend. In Ihrem Buch „Die Zerbrechlichkeit der Welt“ schreiben Sie aber, dass die Wissenschaft Daten positiv nutzen kann, um die Gesellschaft, die Umwelt oder unsere Gesundheit nachhaltig zu verbessern. Können Sie erklären, wie man mit Big Data die Welt retten kann?

Das eigene Leben kann man verbessern, indem man medizinische Daten nutzt, um zu besseren Diagnosen und Prognosen zu gelangen. Wenn man eine bestimmte Krankheit hat und die typischen Krankheitsverläufe der ganzen Bevölkerung kennt, kann man besser vorhersagen, was auf einen zukommt oder wie wirksam ein gewisses Medikament oder eine Therapie sein wird. Ärztinnen und Ärzte können wiederum anhand der Daten in kürzerer Zeit bessere Diagnosen stellen. Und Gesundheitssysteme können, wenn man genug Daten hat, analysiert, auf Schwachstellen überprüft sowie effizienter und besser gemacht werden – für alle Beteiligten.

Können Sie noch ein anderes Beispiel nennen?

Nehmen wir die Finanzwelt her. Da gibt es das Problem, dass es alle 10 bis 20 Jahre zu massiven Krisen kommt, wo Dutzende oder sogar Hunderte Banken ausfallen können. Diese Konkursbanken reißen andere Banken mit und in weiterer Folge auch ganze Wirtschaftsbetriebe und Staaten, wodurch am Ende viele Menschen verarmen. Hier können wir Daten nutzen, um ein Finanzsystem digital nachzubauen und verschiedene Situationen zu simulieren, wie etwa, was passieren würde, wenn alle Banken in Kärnen ausfallen oder wenn Russland seine Kredite nicht zurückzahlt. So können wir uns auf mögliche Situationen vorbereiten, die sich noch gar nicht abzeichnen. Und sollten diese später eintreten, wissen wir sofort, wie wir darauf optimal reagieren sollten.

Hat die Wissenschaft auch Zugang zu den Daten der großen Tech-Konzerne?

In einzelnen Fällen schon. Google oder Amazon stellen selbst Zehntausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die anhand der Daten Spannendes über die Psychologie des Menschen lernen. Sie haben dort Möglichkeiten, die man auf einer Uni normalerweise nicht hat. Da könnte man vieles aus ethischen Gründen nicht publizieren, weil wir sehr darauf achten, niemals Persönlichkeitsrechte zu verletzen.

Wie geht die Wissenschaft mit Daten um?

In der Forschung stellt man von Anfang an sicher, dass in den Ergebnissen niemals einzelne Personen identifizierbar sind. In den allermeisten wissenschaftlichen Fragen geht es auch nie um einzelne Individuen. Im Gegensatz dazu nutzen Tech-Konzerne die individuelle Identifizierbarkeit aus Daten oft aus, indem sie einer Person zum Beispiel personalisierte Werbung schicken. Wenn man also weniger personalisierte Werbung bekommt, weiß man, dass sich etwas getan hat und wir auf dem richtigen Weg sind.

In Europa haben wir eine gute Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die unter anderem regelt, welche Daten die Wissenschaft oder die Industrie verwenden darf, wie Daten gespeichert werden oder was gelöscht werden muss. Also, im Prinzip ist das Regelwerk da, für die großen Tech-Firmen greift es meiner Meinung nach aber zu kurz. Die nehmen die DSGVO oft nicht ernst genug. Deshalb verhängt die EU auch immer wieder Strafen in Milliardenhöhe. Mittlerweile hat sich aber praktisch jede Firma in Europa, die mit Daten zu tun hat, mit dem Thema auseinandergesetzt und geht weitaus bewusster und kritischer damit um, als das noch vor fünf Jahren der Fall war.

Können wir als Userinnen und User einen Beitrag leisten, um unsere Daten sicherer zu machen?

Ja, indem wir uns immer wieder empören, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Datenrechte verletzt werden. Und indem wir laut fordern, dass korrekt mit unseren Daten umgegangen wird.

 

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